Indien Chandigarh Mosaik-Gebäude

Von Brutalität und Brutalismus | Eine Pilgerstätte moderner Architektur in Indien

Gastbeitrag von Henrik

Unterhalb der sanften Ausläufer des Himalaya liegt eine Stadt, so untypisch für Indien wie kaum eine andere. Notwendig geworden, um die Lücke zu schließen, die die alte Hauptstadt des Punjab Lahore mit der Teilung Indiens hinterließ, schuf der Schweizer Architekt Le Corbusier am Reißbrett eine Stadt aus Beton.

Eine Stadt, erdacht als Symbol eines modernen, offenen, die Hand zur Versöhnung reichenden Indiens: Chandigarh. Heute ist die einstige Lückenbüßerin Pilgerstätte für Freunde moderner Architektur im Allgemeinen und des Brutalismus (brut, französisch für Sichtbeton) im Besonderen. Ihr symbolischer Anspruch erfüllte sich über die Jahrzehnte nicht – Indien und Pakistan stehen sich nach wie vor mehr als argwöhnisch gegenüber.

Kein geringerer als der hochdekorierte Vordenker des Brutalismus, wegen seines unkritischen Verhältnisses zum Nationalsozialismus jedoch umstrittene, Le Corbusier, wurde auserkoren, eine historisch unbelastete und religiös neutrale Stadt zu planen. Dabei warf er alles über den Haufen, was traditionelle Städte ausmacht und griff dabei Ideen Nowitzkis auf. Anstelle von Mischvierteln mit Gewerbe, Wohnen, Administration und Freizeiteinrichtungen stellte er sich streng voneinander abgegrenzte Sektoren mit klaren Funktionen vor: Sektor 17 – Einkaufen, Sektor 14 – Bildung, Sektor 35 – Gastronomie. Geografisch und metaphorisch ganz oben befindet sich Sektor 1, mit dem Sekretariat, dem Gericht und dem Parlament als Kopf der Kapitale. Seit 1966 ist der Ort mit Gründung Haryanas Verwaltungssitz gleich zweier Bundestaaten.

Indien Chandigarh Kapitol
Indien Chandigarh Open Hand Monument

Die von Le Corbusier und seinem Büro umgesetzte Aufteilung prägt den Ort bis heute und macht ihn zur Stadt der weiten Wege, macht aber eben auch seinen besonderen Reiz aus. Die breiten geraden Boulevards, die aufgeräumten Parks (Tipp: Rock Garden) und die vielfach in Ihrer klaren Schlichtheit beeindruckenden Gebäude stehen im krassen Kontrast zu Molochs wie Delhi oder Mumbai, die in ihrer indischen Unübersichtlichkeit allerdings nicht minder spannend sind. Darunter, dass für die Planer der Gestaltungsgrundsatz „Form Follows Function“ nicht oberste Maxime ihres Schaffens war, leidet die Bevölkerung bis heute – wenn auch durch moderne Klimaanlagen weniger als anfangs: Die würfelförmigen Wohnhäuser werden in der heißen Jahreszeit zu wahren, im Grunde unbewohnbaren Backöfen.

Ein oder zwei Tage im UNESCO-Welterbe Chandigarh sind für jeden Architekturbegeisterten ein absolutes Highlight. Der Besuch der Stadt bietet sich besonders im Rahmen einer Rundreise durch Rajasthan in Verbindung mit Amritsar, Shimla, Delhi und Agra mit dem Taj Mahal an.

Wer einen skurrilen Auswuchs des bis heute anhaltenden Indisch-Pakistanisch Konflikts hautnah erleben möchte, der sollte einen Stopp in Wagah, dem Grenzposten an der Straße zwischen Amritsar und Lahore einplanen. Die aberwitzigen, bis ins Detail aufeinander abgestimmten Drohgebärden der Soldaten in Ihren Gardeuniformen und das Gejohle der Menge auf den Zuschauertribünen lassen einen verwundert, jedoch mit der Erkenntnis zurück, dass der Krieg zwischen den Brudervölkern aktuell glücklicherweise meist nur spielerischer Natur ist.

Indien Chandigarh Rock Garden Mosaik
Indien Chandigarh Rock Garden
Indien Chandigarh Zuschauer Wagah Border

Beitrag verfasst von Henrik. Hier geht es zum Asienspezialisten Atambo Tours Bochum.

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

LIVING Blogverzeichnis - Bloggerei.de