Reisetipp Indien Mumbai

Mumbai – nicht mehr der fremde Planet, der er einst war

Gastbeitrag von Henrik

Mumbai? Bombay? Wie heißt die Hauptstadt von Maharashtra denn nun wirklich? Offiziell seit 1996 ganz klar: Mumbai. Dieses Toponym wird, geht es nach der regierenden Hindu-nationalistischen Partei BJP, seit Jahrhunderten von der örtlichen Bevölkerung verwendet und bezieht sich auf die Göttin Mumbadevi. Folgerichtig heißt das Gesetz, das seinerzeit die Umbenennung verfügte „Gesetz zur Wiederherstellung des Namens Mumbai für Bombay“. Doch offizieller Name hin, Göttin her – im Alltag der Stadt taucht der koloniale, aus dem Portugiesischen („Bon Bahia – schöne Bucht“) stammende, von einem Hauch Exotik umwehte Name, noch immer auf. In öffentlicher, wie auch in privater Verwendung. In welchen Situationen die “Mumbaikar” beziehungsweise “Bombayite” den eigentlich überkommenen Stadtnamen verwenden, hat die intime Stadtkennerin und Autorin des Buches „Love Mumbai“ so beschrieben:

„A business executive might convene a meeting in Mumbai, but she will summon a lover only to Bombay.“

Vermutlich verbinden viele den alten Namen mit einer Zeit, die sie sich zwar eigentlich nicht zurückwünschen, die sie aber auch nicht vergessen möchten und ein wenig verklären. Ähnlich der Ostalgie in den neuen Bundesländern. Genau dieses Gefühl spiegelt sich auch im Stadtbild wieder: Die alte Zeit verblasst, wird aber nicht vergessen und immer häufiger auch wieder auf Hochglanz poliert.

Geliebt und gelebt wird also in Bombay, gearbeitet aber in Mumbai.
Und angekommen wird meist am Chhatrapati Shivaji International Airport – IATA-Kürzel BOM (!). Einem mittlerweile hochmodernen Großflughafen, wie man ihn überall auf der Welt (außer in Deutschland…) findet. Und genau hier war ich bei meiner letzten Ankunft in Indien ein wenig enttäuscht. Statt eines Gewirrs auf dem Fußboden des maroden Terminals campierender Reisender und einer unüberschaubaren Masse schreiender Taxifahrer, erwartete mich und meine Mitreisenden dies: Aufgeräumte, klimatisierte Hallen mit futuristischen Konstruktionen, unter denen man in aller Ruhe am Gepäckband wartet, um danach eine Nummer für ein Taxi mit Festpreis (!) zu ziehen. Kulturschock adé. Selbst die Taxis sind nicht mehr dieselben. An die Stelle der kleinen Ambassador-Limousinen im Stile der 50er-Jahre sind gleichförmige Tata-Schachteln mit Plastikarmaturen und Klimaanlage getreten. Aber nun gut, es ist nicht die Aufgabe der Taxifahrer für mein romantisches Reiseerlebnis zu schwitzen…

Auch Indien – und mit ihm seine Bewohner – entwickelt sich in eine Richtung, die sich an westlichen Maßstäben und westlichen Lebensstandards orientiert. Wer will es ihnen verdenken. Ich habe die Stadt daher zuletzt nicht mehr als den fremden Planeten empfunden, als der sie sich bei meinem ersten Besuch vor etwa zehn Jahren noch präsentierte. Für die wachsende Mittelschicht ein Segen, für den abenteuerlustigen Reisenden ein wenig schade.

Nichtsdestotrotz zieht mich Mumbai/Bombay an wie ein Magnet. Ich könnte mir gar eine zweiwöchige Reise vorstellen, in der ich diesen 600 Quadratkilometer großen, noch immer geheimnisvollen, 16-Millionen-Moloch nicht verlasse. Ich könnte noch hunderte Male den Weg zwischen Chhatrapati Shivaji Terminus – dem früheren Victoria Terminus – und dem Gateway of India gehen, ein King Fisher im Café Mondegar nehmen und immer wieder Neues im Vertrauten entdecken. Wieder und wieder entlang der teils verfallenen, teil renovierten Gebäude spazieren. Die Sassoon Library bestaunen, im ehemaligen Majestic Hotel Lebensmittel kaufen oder darüber nachdenken, was die Zukunft für das Gebäude des legendären Watson’s Hotel – Indiens ältestem Gebäude mit Stahlskelett, von dem heutzutage schon mal ein Balkon auf den Bürgersteig fällt – bereithält. Ob es mitsamt seinen Bewohnern in sich zusammenfällt, abgerissen wird oder eines Tages in altem, neuen Glanz erstrahlt? Mich faszinieren die verblichenen Spuren diese Gebäude. Wie man heute zwischen Waschmittel- und Hundefutterregalen die verzierten Säulen einer Lobby entdeckt; wie Inschriften auf Stahlträgern deren Produktionsstätten im Vereinigten Königreich verraten. So traurig der Zustand oftmals auch sein mag, so sehr erzählen sie auch die Geschichte des Landes, in dem sie stehen. Eines Landes, das sich von der Fremdherrschaft befreit hat und bis heute aus eigener Kraft versucht, einen eigenen Weg zu gehen, ohne den Einfluss der einstigen Kolonialmacht komplett zu negieren. So sehr mich der morbide Charme dieser architektonischen Zeitzeugen anzieht, so klar ist auch, dass dieser Zustand nicht auf ewig konserviert werden kann – und im Interesse der Bevölkerung auch nicht konserviert werden darf. So bleiben nur drei Varianten: den Verfall fortschreiten lassen, abreißen oder renovieren. Ein gelungenes Beispiel für Variante 3 ist das Royal Opera House. War es vor zehn Jahren noch eine halbe Ruine, vor deren rußgeschwärzter Front kleine Verkaufsbuden errichtet wurden und aus deren Dach Sträucher wuchsen, ist es heute wieder das, was es vor 100 Jahren war: ein Opernhaus mit gesandstrahlter Prunkfassade. Wohltuender Nebeneffekt der Renovierung: In der angeschlossenen Bar, lässt es sich bei dem ein oder andere Drink in einer wohltuend ruhigen Umgebung aushalten.

Denn so sehr sich die Stadt in den letzten Jahren geordnet hat – selbst an roten Ampeln wird oft angehalten – so sehr bleibt sie doch laut. Angeblich 64-mal lauter als London oder New York. Autohupen, Verkaufsgeschrei, Baustellenlärm und Motorengebrüll sind ständige Begleiter des Besuchers. An einen ruhigen Bummel durch das Straßengewirr ist kaum zu denken. Zu sehr muss man sich auf den Verkehr, auf – sofern vorhanden – Fußwegen parkende Motorräder, Bettler und andere ablenkende Einflüsse konzentrieren, um nicht Gefahr zu laufen gegen irgendetwas oder irgendjemanden zu laufen oder schlimmstenfalls unter die Räder zu kommen. Da sind Oasen wie die Oper eine äußerst willkommene Abwechslung. Ebendiese Orte möchte ich den Lesern ans Herz legen, sollte sich der eine oder die andere entscheiden, den kaum zu fassenden Kosmos Bombay zu besuchen.

Royal Opera House
Das prunkvolle, die Pracht des British Empire versprühende Haus, lädt zum Besuch abendlicher Veranstaltungen ebenso ein, wie zu einem wohltuenden kalten Drink in der angeschlossenen, auch am Tage geöffneten Bar.

Chowpatty Beach
Wäre das Wasser nicht so stark mit Chemikalien verseucht, könnte es der Bilderbuchstrand locker mit Waikiki oder der Copa Capana aufnehmen. Der Sonnenuntergang hinter der Skyline der Walkeshwar-Halbinsel oder am Horizont des Arabischen Meers sind der Traum eines jeden Romantikers. Auch wenn hier meist viele Menschen unterwegs sind, überwiegt doch ein entspannter Eindruck der Ruhe.

Banganga Tank
Inmitten des wohlhabenden Stadtviertels Walkeshwar befindet sich mit dem Banganga Tank ein echtes Stück Indien. Kleine Tempel um das Wasserbecken, in dem die Kinder baden und die kleinteilige Architektur lassen einen vergessen, sich in einer der größten Städte der Welt zu befinden.
Der Ort ist im Übrigen auch Schauplatz der empfehlenswerten Komödie Outsourced – Auf Umwegen zum Glück.

Harbour Bar im Taj Hotel
Erstklassige Cocktails mit Blick auf das Gateway of India. Bar mit der ersten Alkohollizenz in der Stadt.

Starbucks bei der anglikanischen St. Thomas‘ Cathetral
Lust auf ruhige, westliche Atmosphäre? Dann darf es auch mal ein Starbucks sein. Der genannte befindet sich unweit der Flora Fountain in der Nähe des ebenfalls sehenswerten Horniman Circle Garden.

Nehru Park
Schattige, gepflegte Parkanlage mit tollem Blick über Chowpatty und Marine Drive.

Oval Maidan
Riesige Rasenfläche auf der Rückseite von Universität und High Court. Tolle Möglichkeit, den Einheimischen beim Cricket zuzusehen.

Mahalaxmi Racecourse
Für ein paar Rupien bekommt man Zutritt zu einem Stück Empire und darf auf den beeindruckenden, leicht maroden, Holztribünen Platz nehmen. Wer mag, kann seine Wetten platzieren und dem Sieger vor dem Clubhaus des „Royal Western India Turf Club“ huldigen.

National Gallery of Modern Art und Chhatrapati Shivaji Maharaj Vastu Sangrahalaya (ehemals Prince of Wales Museum)
Die benachbarten Museen vermitteln in historisch beeindruckendem Ambiente einen tollen Einblick in alte und neue indische sowie internationale Kunst.

Cathedral of the Holy Name und Umgebung
Der Sitz des Erzbistums Bombay liegt in einem Viertel, das von ruhigen, mit schattigen Bäumen gesäumten Straßen geprägt ist. Die vielen alten, im Stile des Historismus errichteten Villen versprühen einen geheimnisvoll-maroden Charme. So wie etwa das Schoen House, das einst einem emigrierten deutschen Juden gehört haben soll und heute der Natur überlassen ist.

Ich weiß nicht, wie viele Orte in Mumbai es noch gibt, die darauf warten entdeckt zu werden. Eine Reise wird dafür nicht ausreichen. Wahrscheinlich auch nicht zwei oder drei. Aber ich werde versuchen, so oft zurückzukommen, wie möglich. Selbst dann, wenn der letzte Ambassador verschwunden ist und ich mit der U-Bahn vom Flughafen an den Apollo Bunder oder nach Breach Candy zur scheinbar schwimmenden Haji Ali Moschee fahren kann. Denn ihre ganz eigene Magie kann Mumbai/Bombay auch in einhundert Jahren nicht verloren haben.

Gastautor Henrik ist absoluter Asienprofi! Wer Fragen zu einer Indienreise hat, erreicht Henrik und Michael über Atambo Tours Bochum! – oder natürlich über diesen Blog.

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